1933 – 1945: Bahlsen während des NS-Zeit

Im Juli 2019 beauftragte Bahlsen Prof. Dr. Manfred Grieger mit der unabhängigen Untersuchung der Rolle des Unternehmens während der NS-Diktatur. Die wissenschaftliche Forschung des um Prof Dr. Hartmut Berghoff und Dr. Karin Hartewig erweiterten Autorenteams ist abgeschlossen. Derzeit werden die Untersuchungsergebnisse, die auch die Vorgeschichte bis in den Ersten Weltkrieg hinein und die Nachwirkungen bis zu den 1970er Jahren umfassen, als Buch verlegt, das im Spätsommer erscheinen und der Öffentlichkeit zugänglich sein wird.

"Bahlsen lässt begrüßenswerter Weise nicht nur die Geschehnisse während der nationalsozialistischen Diktatur, sondern auch deren Vorgeschichte seit dem Ersten Weltkrieg und deren Nachwirkungen wissenschaftlich aufklären. Die Studie bietet die Chance, ein kritisches und differenziertes Bild von Deutschland zwischen Krieg, Diktatur und Konsumdemokratie im Fokus einer exemplarischen Unternehmens- und Familiengeschichte zu zeichnen."

- Prof. Dr. Manfred Grieger

Bahlsen und das Regime

Zwar stand Bahlsen als mittelständisches Unternehmen der Nahrungsmittelbranche im NS-Regime weder wirtschaftlich noch politisch in erster Reihe, nutzte jedoch die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Nationalsozialismus. Die Brüder Bahlsen, alle Parteimitglieder, fungierten nicht als Spitzenrepräsentanten der NSDAP, standen jedoch in Kontakt zu NSDAP-Funktionären.

Zwangsarbeit

Durch Anpassung der Produktpolitik und des Marketings profitierte Bahlsen von dem in der Etablierungsphase des nationalsozialistischen Regimes einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung. Dies setzte sich in den Krieg hinein fort, als die Wehrmacht zum Großabnehmer wurde. Das Kriegswirtschaftssystem bot zum Ersatz etwa für einberufene deutsche Arbeitskräfte in großer Zahl unfreie Arbeiter an, auf die das Unternehmen zugriff. Ab Ende Mai 1940 bis Ende des Zweiten Weltkriegs kamen über 700 Zwangarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus verschiedenen europäischen Staaten, mehrheitlich Frauen aus Polen und der Ukraine, in die Fabrik nach Hannover. Diese Menschen mussten in betriebseigenen Lagern leben und waren entsprechend der rassistischen Hierarchisierung Benachteiligung ausgesetzt. Auch in dem ab Juni 1943 in Gera entstandenen Zweigwerk setzte Bahlsen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein.

Übernahme einer Keksfabrik in der Ukraine

Nach der deutschen Besetzung der Ukraine übernahm Bahlsen am 1. März 1942 die Verwaltung einer großen Keksfabrik in Kiew. Dort herrschte Arbeitspflicht, sodass im November 1942 neben 10 Bahlsen-Mitarbeitern aus Deutschland mehr als 2.150 Männer und Frauen eingesetzt wurden. Die Niederlassung vor Ort setzte bis September 1943, als die Rote Armee die Stadt zurückeroberte, umgerechnet knapp 11 Millionen Reichsmark mit der Versorgung der Wehrmacht um.

Nachkriegszeit

1943 setzten Materialengpässe dem bis dahin steigenden Wachstum Bahlsens ein Ende, wenngleich sich mit der Notversorgung von „Bombengeschädigten“ ein neues Geschäftsfeld entwickelte. Nach Ende der NS-Diktatur erhielt das Unternehmen als unverzichtbarer Nahrungsmittelproduzent rasch eine Produktionsgenehmigung und fand zu seiner Rolle und Bedeutung zurück. Die nach der Währungsreform 1948 entstehenden Marktbedingungen wie insgesamt die entstehende Konsumgesellschaft nutzte Bahlsen für ein erhebliches Unternehmenswachstum. Nach erfolgter Entnazifizierung der Eigner erlangte Bahlsen spätestens mit dem Wiedereinstieg Werner Bahlsens in die Politik 1957 Möglichkeiten zur umfassenden politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme.