06.06.2018

Die wundersame Rückkehr der TET-Göttin

Im Eingangsbereich des Bahlsen Stammhauses in der Podbielskistraße 11 in Hannover erwartet Mitarbeiter und Besucher seit einigen Tagen eine recht schweigsame Dame. 1,54 Meter groß, rötlicher Teint, den Kopf gesenkt „thront“ sie zwischen den Türen – offensichtlich schwanger.

Es handelt sich um die rund 100jährige „TET-Göttin“, eine Rotstein-Figur von Bernhard Hoetger (1874-1949), – und damit um eine unglaubliche Geschichte, die jetzt im Mai 2018 nach über 80 Jahren, in denen die Statue verschollen war, ein gutes Ende gefunden hat.

Vor einigen Monaten erreichte das Unternehmen Bahlsen ein Schreiben mit dem Hinweis auf eine historische Skulptur aus ehemaligem Bahlsen-Besitz. Die Statue stand nach heutigem Kenntnisstand vor dem zweiten Weltkrieg im Eingangsbereich des heutigen Verwaltungsgebäudes, woran in den letzten Jahrzehnten lediglich ein verlassener Rotsteinsockel erinnerte. Erst mit dem Schreiben der Erben einer ehemaligen Steinmetz-Familie konnten erste Anhaltspunkte zum Verschwinden der Figur gewonnen werden. Demnach lief die fremdländisch anmutende Skulptur Gefahr, als „entartete Kunst“ den Nationalsozialisten zum Opfer zu fallen. So wurde sie Mitte der 1930er Jahre zum Schutz vor möglicher Zerstörung bei einem Steinmetz ausgelagert, da sie zwischen seinen Skulpturen unauffällig in irgendeiner dunklen Ecke geschützter war.  Als dann aus Altersgründen die Steinmetz-Familie ihr Geschäft aufgab und den Wohnsitz wechselte, nahm sie die Figur mit und stellte sie in die äußerste Ecke ihres ummauerten Gartens – zuletzt wie bei Dornröschen abgeschirmt durch sperriges Gestrüpp, wo sie sich bis zur Übergabe an Bahlsen befand.     

 

Auf Spurensuche

Unternehmensgründer Hermann Bahlsen (1859-1919) war zwischen 1916 und 1919 Auftraggeber und generöser Förderer von Bernhard Hoetger. Gemeinsam planten sie das groß angelegte TET-Stadt-Projekt, das eine neue Fabrik mit Verwaltungs- und Repräsentationsgebäude sowie die komplette Infrastruktur einer ganzen Stadt für die Mitarbeiter der Fabrik vorsah. Bekannt ist, dass Hoetger eine TET-Göttin in Bronze schuf, die einen zentralen Platz im geplanten Repräsentationsbau finden sollte. Nach Fertigstellung wünschte sich Hermann Bahlsen von Hoetger offenbar eine weitere Skulptur mit dem Motiv der TET-Göttin und zwar als Schmuck für sein Verwaltungsgebäude. Ein Modell wurde angefertigt, das Material festgelegt und dann muss die Arbeit ins Stocken geraten sein. Als die Rahmenbedingungen für die TET-Stadt aus Sicht von Hermann Bahlsen nicht mehr gegeben schienen, erklärte er das Projekt dem Künstler gegenüber 1919 endgültig für gescheitert. Kurz darauf starb der Gründer. Die rote TET-Göttin entstand dennoch, zusammen mit anderen Schmuckelementen für den Eingangsbereich des Stammhauses.    

Heute sind diese Kunstwerke in Stein gemeißelte Zeugen für die Zusammenarbeit zwischen Hoetger und Bahlsen: Flache Reliefs zeigen die Porträts von Hermann Bahlsen mit seinen vier Söhnen und ihnen gegenüber das mädchenhafte Profil seiner Frau. Auch die dekorativen Stein-Kübel, die jahrzehntelang den leeren roten Sockel gerahmt haben und nun die Einheit aus Sockel und TET-Göttin flankieren, sind Hoetger zuzuschreiben.     

Sensationsfund?

Erste Recherchen haben gezeigt, dass die Rotstein-Variante der TET-Göttin in der Kunstwissenschaft bislang offenbar unbekannt ist. Dokumentiert ist lediglich die schwarz patinierte Bronze-Fassung (1917).